Zwischen Fragetechnik und Emotion

Leseprobe

Wie man in den Wald hinein ruft…

Bei der Vorbereitung eines Interviews sollten wir immer bedenken, dass wir nicht nur Handelnde, sondern auch Reagierende sind. Auch wir passen uns unserem Gegenüber an, werden von ihm beeinflusst – manchmal zu unserem und der Verständlichkeit Nachteil. Das beginnt schon bei der Sprache. Im normalen Leben würden wir gewisse Begriffe und Satzkonstruktionen nie benutzen. Doch kaum befragen wir jemanden aus der Verwaltung, einen Politiker, einen Sprecher von Polizei und Feuerwehr, so werden wir mit unverständlicher Beamtensprache, ausuferndem Nominalstil und unklaren Passivkonstruktionen überhäuft, die sehr schnell abfärben, wenn wir uns nicht bewusst dagegen stemmen. Das heißt: Wenn wir schon kompliziert und umständlich beginnen, wird unser Gegenüber immer komplizierter und umständlicher sprechen. Unsere normale und einfache Sprache hilft auch ihm, normal zu sprechen.

Ähnlich ansteckend sind ungeordnete Gedanken. Manche Menschen sind Meister ihres Fachs, hervorragende Spezialisten mit großartigem Fachwissen. Wenn es aber darum geht, dieses Wissen anderen mitzuteilen, verfangen sie sich in heillosem Chaos. Sie können ihre Aussage nicht strukturieren. Sie erkennen nicht, welche Information wichtig und welche nebensächlich ist. Sie verlieren sich in Einzelheiten. Sie schaffen es nicht, linear und Punkt für Punkt zu erklären. Das färbt auch auf uns ab. Wir verlieren den Faden, können nicht mehr sinnvoll nachfragen, weil wir selbst verwirrt sind.

Sobald wir merken, dass uns thematisch der Boden unter den Füßen wegrutscht, müssen wir uns konsequent und strikt an unser Fragenkonzept halten, um wieder Struktur in das Interview zu bringen.

Es gibt noch andere störende Übertragungen. Ein langsamer Gesprächspartner überträgt seine Langsamkeit eventuell auch auf uns. Ein aufgeregter Gesprächspartner verunsichert eventuell auch uns. Wer es schon einmal erlebt hat, wundert sich, wie stark dieses Phänomen zu spüren ist. Dem können wir dadurch begegnen, dass wir die Interview-Situation für unseren Gesprächspartner auflockern. Einen ängstlichen Museumsdirektor interviewen wir, indem wir mit ihm durch seine Ausstellung gehen. Er ist dadurch abgelenkt und spricht sehr viel unverkrampfter als an seinem Schreibtisch. Alfred Biolek führte Interviews beim Kochen. Von der WDR-Ikone Carmen Thomas ist bekannt, dass sie in Ihrer Sendung „Hallo Ü-Wagen“ aufgeregte Gesprächspartner auf einen Tisch oder einen Barhocker setzte. Die ließen locker die Beine baumeln und antworteten ebenso entspannt. Menschen an ihrem Arbeitsplatz, bei einer vertrauten Tätigkeit zu interviewen, funktioniert immer. Und wenn sich gar keine andere Ablenkung anbietet, ist ein Interview noch im Stehen möglich.

Das Vorgespräch

Immer wieder fragen junge Journalistinnen und Journalisten, ob man seine Fragen dem Gesprächspartner im Vorgespräch schon nennen soll. Ich rate davon ab. Dadurch legen wir uns nur unnötig fest und nehmen dem Interview die Spontaneität. Etwas anderes ist es, dem Gesprächspartner im Vorgespräch zu sagen, welche Themen wir gleich ansprechen werden, welche Aspekte uns wichtig sind. Dann kann er sich innerlich darauf einstellen ohne Antworten zu formulieren. Eine Ausnahme bilden natürlich die Fälle, in denen ein persönlicher Referent oder die Pressestelle darauf bestanden haben, die Fragen in schriftlicher Form vorab zugeschickt zu bekommen. Wenn wir nur so unseren Interviewpartner gewinnen konnten, müssen wir uns der Fairness halber an die Fragen halten. Inwieweit wir diese Fragen im Interview selbst noch ergänzen können, hängt von der Situation und der Reaktion unseres Gegenübers ab.

Das Vorgespräch dient dazu, die „Chemie“ zu testen. Was ist der Gesprächspartner für ein Typ? Wie spricht er? In welcher Stimmung sitzt er uns gegenüber? Aus welcher Haltung heraus können wir am besten mit ihm reden? Smalltalk erfüllt dazu voll und ganz seinen Zweck. Gleichzeitig sollten wir das Vorgespräch aber auch dafür nutzen, den genauen Namen, die Funktion und andere Daten noch einmal abzufragen. Nichts ist peinlicher und hemmender, als wegen dieser Personalien gleich am Anfang eines Interviews korrigiert zu werden.

Ein praktischer Tipp: Es ist äußerst hilfreich, sich Namen, Titel und Funktion deutlich lesbar auch noch einmal an das Ende des Fragenkatalogs zu schreiben. Im Eifer der Verabschiedung findet man manchmal die Angaben nicht mehr, die man irgendwo oben auf dem Blatt oder einem anderen Zettel notiert hat.

Bei einer Live-Sendung kommt es häufig vor, dass der Gast ins Studio gebracht wird, aber noch nicht dran ist, weil Musik läuft. Versierte Moderatorinnen und Moderatoren lassen ihn dann nicht still und stumm sitzen, das kann ihn verunsichern. Sie halten das Vorgespräch in Gang, auch wenn alle Formalien geklärt sind. Sie erklären ihm das Studio, schildern ihm die technischen Möglichkeiten und machen ihm die Umgebung vertraut.

Reporterinnen und Reporter, die vor Ort mit einem Aufnahmegerät unterwegs sind, nutzen das Vorgespräch gleichzeitig als Technik-Check. Sitzen wir richtig? Haben wir den richtigen Abstand zum Mikrofon? Stimmt der Pegel? Ist noch genügend Saft im Akku und Speicherplatz auf dem Gerät? Läuft die Aufnahme oder ist aus Versehen noch die Stopp-Taste gedrückt? Während sie das alles überprüfen plaudern sie munter übers Wetter und andere unverfängliche Themen. Erst wenn alles geklärt ist, startet das Interview.

Diese Ratschläge mögen banal klingen. Überflüssig sind sie nicht. Denn in der Praxis  kommt es ständig vor, dass Reporter vom Interview zurückkommen und nichts oder nichts Sendbares aufgenommen haben.

Im Fußball heißt es: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Das gilt auch für Interviews. Es lohnt sich, Zeit für das Nachgespräch einzuplanen. Allein schon deswegen, um diese für viele doch sehr aufregende Situation gut ausklingen zu lassen. In dieser Phase sind Gesprächspartner meist sehr viel gelöster als im Interview selbst. Sie reden auf einmal unverkrampft, erzählen Dinge, die wir gerne schon im Interview gehört hätten. Das ist jammerschade, aber nicht zu ändern. Auch der Trick, das Aufnahmegerät noch einmal anzustellen, funktioniert so gut wie nie. Andrerseits kommen wir im Nachgespräch häufig auf neue Themen, die einen neuen Beitrag ergeben könnten. Und wer sich von uns gut behandelt gefühlt hat, wird uns wieder ein Interview geben. Wir halten uns den Gesprächspartner warm. Und nicht vergessen: nach der persönlichen Handynummer fragen – falls man sie noch nicht hat.

…aus dem Kapitel Interview von Reinhard  Krol im Handbuch Radiojournalismus / Hg. Peter Overbeck / UVK / 34,90€