Erfahrungen zweier Trainer

Ein Referat auf der Radio Börse Kultur am 15.November 2000 in Baden Baden

Sehr geehrte Damen und Herren,

meinen Falten sehen Sie an, dass ich schon seit langer Zeit Kulturprogramme im öffentlich-rechtlichen Radio höre und da speziell die Sendungen, die Musik bieten. Denn zum einen interessiert mich die Sache, um die es hier geht – die Musik. Zum anderen habe ich als Journalist und Moderator selbst lange in Kulturprogrammen gearbeitet, so dass ich schlicht wissen möchte: Wie gehen die Kollegen mit der Materie um. Großes Vergnügen stellt sich aber auch dadurch ein, dass man immer wieder in Staunen versetzt wird über das, was an Musikmoderationen über den Sender geht.

Heute hören Sie in der Reihe Historische Aufnahmen zunächst von Daniel Schafran und Walter Bohle die Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 2 F-Dur Op. 99 von Johannes Brahms. Danach im Anschluss gegen 15:59 neue Musik kommentiert und zwar Hans Zenders Werkeinführung zu Mauricio Kagels Variationen ohne Fuge für großes Orchester über Variationen und Fuge für Klavier über ein Thema von Händel Op.24 von Johannes Brahms. Daniel Schafran galt lange Zeit neben Mstislaw Rostropowitsch als der bedeutendste russische Cellist. Am 13. November 1923 in St.Petersburg geboren, erhielt Schafran durch seinen Vater, der Solo-Cellist der Leningrader Philharmoniker gewesen war,seinen ersten Unterricht. Als 10Jähriger debütierte er unter Leitung von Albert Coates mit den Leningrader Philharmonikern. 1937 gewann er beim Moskauer und 1950 beim Prager Wettbewerb je einen ersten Preis. Zahlreiche Konzertreisen führten den Cellisten um die ganze Welt. Auf seinem Amati-Cello aus dem Jahre 1630 entwickelte er jene raffinierte Art des manieristischen Spiels sowohl in den agogischen Wechseln als auch in den dynamischen Extremen. Er stelle die Werke in ihrer Art aus und dies auf eigenwillige, manchmal geradezu exzentrische Weise, ohne aber geschmacklos zu werden. Nein, sein oftmals schlanker, ja entschlackter und unvibrierter Ton griff weit in die interpretatorische Zukunft. Er war auf cellistische Art in gewisser Weise ein musikalischer Fürst. Hören Sie Daniel Schafran zusammen mit Walter Bohle am Klavier……..

Bis heute habe ich mir verboten nachzuschauen, was es mit den agogischen Wechseln des in gewisser Weise musikalischen Fürsten auf sich haben mag. Das Wort begeistert mich. Ich habe mich in die “agogischen Wechsel” verliebt wie sich Kinder manchmal in Wörter verlieben, die sie nicht verstehen, deren Klang sie aber stundenlang wie ein Lied vor sich hin singen können. Und ich möchte gar nicht erfahren, dass sich hinter diesen “agogischen Wechseln” vielleicht nur ganz simpel die rhythmische Freiheit des Musikanten verbirgt.

Vor 15 Jahren gehörte ich beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart einer Redaktion an, die täglich ein aktuelles Kulturmagazin zusammenstellte. Wir berichteten aus allen Sparten der Kultur, selbstverständlich auch über die Aktualitäten der Musikszene. Und dabei machten wir jungen Redakteure zwei erstaunliche Feststellungen.

Die erste lag darin, dass die meisten Korrespondenten eine seltsame Vorstellung von Radio besaßen. Für sie bestand Radio im Vorlesen von Zeitungsartikeln. Ihre Beiträge waren schriftsprachlich formuliert, kümmerten sich keinen Deut darum, dass ein Mensch anders liest als zuhört. Darüber hinaus wurden diese Beiträge meist schlecht vorgelesen. Selbst Laien merkten, dass sich der Autor über die Präsentation seines Stückes keinerlei Gedanken gemacht hatte und sich dementsprechend alle Wirkung des gesprochenen Wortes vergab. Schließlich war kaum einer der altgedienten Korrespondenten in der Lage, die Mittel einzusetzen, die der Hörfunk bietet und die Radio interessant machen: freie Rede, Musikausschnitte, O-Töne, Geräusche.

Unsere zweite Feststellung bestand darin, dass es mit keiner Fachredaktion schwieriger war zusammenzuarbeiten als mit den Kollegen von der E-Musik. Ein Austausch wurde zwar regelmäßig angeschoben, versandete aber ebenso schnell wieder. Kritik an Beiträgen oder Themen war so gut wie unmöglich. Und wenn sich doch ein Hauch von Kritik Bahn brechen konnte, wurde das nie als konstruktiv verstanden sondern schuf stets eine gespannte Atmosphäre. Woraufhin der Kontakt noch spärlicher wurde. Damals hat mich das wütend gemacht. Heute verstehe ich, was da ablief.

Die Musikabteilungen sind autonome Reiche in den ARD-Häusern – natürlich nicht was ihr Budget, aber was ihr Programm angeht. Das birgt unbestreitbare Vorteile. Programme können inhaltlich konzipiert werden, müssen nicht einer Mode oder Quote folgen. Es sind immer wieder Überraschungen möglich, die eine formatierte Welle nicht bietet. Und kein Zeitfunk-, Politik- oder Kulturredakteur wird den Kollegen von der Musik reinreden wollen. Schließlich hat keiner das Wissen, sich mit ihnen fachlich anzulegen.

Genau darin besteht aber auch der Nachteil der Autonomie. Musikredakteure bilden einen Closed-Shop. Weil wenig Austausch mit anderen Redaktionen stattfindet, erhalten sie auch wenig Feedback und konstruktive Kritik von außen. Mit der Folge, dass sie vielfach nicht mitbekommen, was in anderen Radio-Bereichen passiert. Sie hinken der Entwicklung hinterher, pflegen in der Präsentation einen Ton, der vielleicht in den 70ern noch angehen konnte aber nicht mehr heute.

Hört man sich heute durch die Musikprogramme der öffentlich-rechtlichen Sender, so kann man grob drei Gruppen von Moderatoren ausmachen. Da gibt es die Musik-Begeisterten, Quereinsteiger mit viel Ahnung vom Metier, die aber keinesfalls eine professionelle musikalische Ausbildung genossen haben müssen. Diese Gruppe kam meist durch Zufall vors Mikrofon und ist heute im Aussterben begriffen. Da gibt es zweitens die Berufsmusiker, die es in die Redaktionen verschlagen hat, weil sie hier eine sichere Stelle und bessere Verdienstmöglichkeiten finden als im Orchester oder als frei ausübende Musiker. Und da gibt es drittens die Musikwissenschaftler.

Diese sind die Bedauernswertesten. Denn zwei Seelen wohnen ach in ihrer Brust. Zum einen fühlen sie sich ihrem Fach verpflichtet. Was sie auf der Universität und in jahrelangem Studium gelernt haben, möchten sie allumfassend und korrekt ihren Hörern weitergeben. Zum anderen sollen sie aber auch Radio machen. D.h. sie sollen verständlich sein, sie sollen die Hörer ansprechen, als Moderatoren Persönlichkeit und Charme vermitteln, vor dem Mikrofon natürlich und spontan reagieren, ohne dabei falsche Dinge zu sagen. Kurz: Sie sollen wie Radio-Profis auftreten.

Eine kleine Anekdote wirft ein bezeichnendes Licht auf diesen Zwiespalt. Da sollte ein E-Musik-Kollege von einer Uraufführung eines zeitgenössischen Werkes noch am Abend der Aufführung berichten, das aktuelle Kulturmagazin sendete in der Stunde vor Mitternacht. Kurz vorher sollte er eine Kritik der selben Veranstaltung für eine spezielle Musik-Sendung auf einem anderen Sender verfassen. Der Planungs-Redakteur des aktuellen Kulturmagazins sah den Synergieeffekt: “Das trifft sich ja prima, dann haben Sie den Beitrag sozusagen schon fertig!” Darauf der E-Musik-Kollege: “Leider nicht! Für meine Spezial-Sendung kann ich im Jargon bleiben, das schüttle ich aus dem Ärmel. Aber für Ihre Hörer muss ich´s ja übersetzen!”

Bis heute ist bei vielen MusikredakteurInnen, die ihre Sendung vor dem Mikro präsentieren oder Moderationstexte schreiben, die Einstellung verbreitet: Wir sind in erster Linie Musik-Fachleute und keine Sendungs-Präsentatoren. Wir haben uns ein genaues Vokabular im Studium angeeignet, das sich bitteschön unser Hörer auch aneignen soll. Wir sind wie alle Fachleute der Präzision und Vollständigkeit verpflichtet. Wenn deswegen die Verständlichkeit leiden sollte können wir auch nichts machen. Eine gekonnte radiophone Präsentation, alles was Geschmeidigkeit in eine Sendung bringt, ist hingegen Verpackung und damit zweitrangig. Aus dieser Einstellung rührt gleichermaßen Verachtung und Hilflosigkeit gegenüber dem, was in anderen Programmen längst zum Standard geworden ist. Eine lockere, nicht flapsige Ansprechhaltung, das Spielen mit verschiedenen akustischen Möglichkeiten.

Dr. Ekkehardt Oehmichen, Leiter der Medienforschung beim Hessischen Rundfunk, hat in seiner Untersuchung zur Typologie des Radiopublikums herausgefunden, dass die sogenannten Kulturprogramme in erster Linie keineswegs von einem Fachpublikum gehört werden. Es sind vielmehr die sogenannten interessierten Laien – die neuen Kulturorientierten, die klassisch Kulturorientierten und die “Häuslichen” – die diese Programme einschalten. Diese Stammhörer geben den Programmen von vornherein einen Bonus. Auch wenn sie nicht alles verstehen und formal hausbackenes Radio geboten kriegen, schalten sie nicht gleich ungeduldig ab. Doch es gilt ja nicht nur, die alten Hörer nicht zu vergraulen, es gilt, neue Hörer aus diesen und angrenzenden Zielgruppen zu gewinnen und sie zu halten.

Jüngere Hörer, die durchaus als Stammpublikum für Kultur- und Musikprogramme zu gewinnen sind, wurden anders mit dem Radio sozialisiert als die Generation vor ihnen. Sie wuchsen in einer musikalischen Welt auf, wo die Brandenburgischen Konzerte völlig gleichberechtigt neben Pink Floyd und Miles Davis im Plattenschrank standen. Sie waren als Schüler und Studenten ganz selbstverständlich Hörer der Pop-Wellen, kennen und schätzen eine direkte Ansprechhaltung ,freuen sich über akustische Raffinessen und den Einbau von Überraschungen.

Unsere Hör- und Sehgewohnheiten sind in den letzten Jahrzehnten immer schneller geworden. Schauen wir uns die langen Sequenzen von Filmen der 60er und 70er Jahre an und vergleichen sie mit den Schnittfolgen heutiger Produktionen, könnte einem schwindlig werden. Selbst biedere deutsche TV- Krimis verströmen in ihrer Machart Rasanz und Tempo. Doch uns stört das nicht. Wir haben uns längst an dieses Tempo gewöhnt. Im Gegenteil! Ein Derrik aus den goldenen Siebzigern oder auch ein Film wie “2001 – Odyssee im Weltraum” kommen uns geradezu schwerfällig daher. Was bei Film und Fernsehen zu sehen ist gilt auch fürs Radio.

Damit soll nun nicht denen das Wort geredet werden, die durch die Lande ziehen und verkünden, der Mensch von heute könne nicht länger als drei Minuten zuhören, besser wären sogar 2 Minuten. Das ist purer Unsinn. Der Mensch hört solange zu, wie ihn etwas interessiert. Nur verlangt der zuhörende Radionutzer von heute, dass auch alles eingesetzt wird, was Standard ist. Er will Abwechslung, er will auch in den Kultur- und Musikprogrammen das, was er aus anderen Programmen kennt.

Wollte man es mit den Begriffen aus der Computerwelt beschreiben, dann ist die Musikpräsentation heute immer noch der Atari unter den Radio-Moderationen. Wobei an der ein oder anderen Stelle durchaus auch schon ein 400ter Pentium seinen Dienst tut. Das Erfolgsrezept der letztgenannten funktioniert relativ einfach und wird von uns wärmstens zur Nachahmung empfohlen: Schau und hör herum, was sonst noch in der Radiolandschaft passiert, versuche das Gute und Brauchbare für die eigene Sendung zu übernehmen und sei für wirkliche Kritik offen.

Wellen, die unter Quotendruck stehen wie Info- oder Pop-Wellen, müssen immer wieder neue Ideen entwickeln, ihr Programm interessant zu gestalten und zu halten. Sie haben längst begriffen, wie wichtig es ist, MitarbeiterInnen ständig zu trainieren: Zum einen, um sie auf den neuesten Stand zu bringen – denken wir nur an die Digitalisierung – , zum anderen, um ihnen Feedback zu geben, damit sie Inhalte reflektieren, Verhaltensweisen ändern können und im Team kommunikationsfähig werden. Dadurch schafft sich eine Redaktion, eine Welle Identität: Alle sprechen dieselbe Sprache, gehen mit denselben Begrifflichkeiten um. Und jeder hat Kriterien an der Hand, wie man miteinander über die Inhalte spricht.

Welche Kriterien vermitteln wir in unseren Trainings? Zunächst verschaffen wir uns einen ersten Eindruck: Wir lassen uns Mitschnitte zuschicken und analysieren sehr genau Ansprechhaltung der ModeratorInnen, Verständlichkeit und Art der Moderationen.

Im Training selbst legen wir zusammen mit den TeilnehmerInnen Kriterien fest für die Art wie wir miteinander umgehen. Wir vereinbaren Gesprächsregeln für alle Rückmeldungsrunden. Man könnte denken, dass das nicht mehr nötig sei in einer Zeit, in der exzessiv Gesprächskultur gepflegt wird. Doch weit gefehlt. Insbesondere in den Kulturredaktionen mangelt es häufig an offener, konstruktiver Kritik. Denn dort liegen die Empfindlichkeiten auf der Ebene des Sich- Präsentierens, besonders vor den anderen Kollegen. Geschmacksurteile werden mit sachlich-fachlicher Kritik vermengt. Oder Kritik wird nicht geäußert, weil man selbst unsicher ist und nicht kritisiert werden möchte.

Uns ist es deshalb wichtig, dass jeder im Training seinen eigenen Hör-Eindruck schildert und zusätzlich inhaltlich konstruktive Vorschläge macht. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ein solcher Gesprächsstil sehr schnell allgemeiner Sprachgebrauch (nicht nur) im Seminar wird und dadurch TeilnehmerInnen die Scheu voreinander verlieren. Der Konkurrenzdruck lässt nach.

Geht es um die Inhalte und Dramaturgie der Moderationen, legen wir zum einen die Kriterien der verständlichen Sprache an. Also die vier Säulen der Verständlichkeit, die Friedemann Schulz von Thun aufgestellt hat: Einfach formulieren, klar gliedern, auf den Punkt kommen, anschaulich sein. Wer wissen will, wie das zusammen klingt, braucht sich nur mal eine Moderation von Gabi Bauer mit offenen Ohren anzuhören. Zum anderen schauen wir auf das Journalistische: Form der Anmoderation – je nach Beitrag – , Interview, Dramaturgie von Moderationsmeldungen oder Brücken bei thematischen Sendungen.

Ein weiterer wichtiger Baustein in unserem Training ist das freie Sprechen und der Umgang mit Stress-Situationen. Oft werden in Kulturprogrammen Moderationen vorher fein ausformuliert oder ganze Sendungen vor-aufgezeichnet mit der Begründung, dass das Gesagte sonst nicht so schön rüberkommt wie vorher ausgedacht. Wir haben festgestellt, dass dahinter oft nichts anderes als die Angst vor der live-Situation, vor Versprechern oder Pannen steht. Nun bringen aber gerade live-Moderationen und freies Sprechen Schwung, Leben und Persönlichkeit in die Sendung. Und der souveräne Umgang mit einer Panne verschafft dem Moderator erst recht die Sympathie der Hörer.

Freies Sprechen und das Meistern einer unerwarteten Situation müssen allerdings genauso trainiert werden wie die stabile Seitenlage im Erste-Hilfe-Kurs. Deshalb erhalten die SeminarteilnehmerInnen von Anfang an die Möglichkeit, frei nach Stichwortzettel zu moderieren. Auch wenn sie dieser Übung zunächst regelmäßig mit großer Skepsis begegnen, sind die Erfahrungen geradezu spektakulär. Zum einen vermittelt ein Stichwortzettel sehr viel mehr Sicherheit als erwartet, z.B. dann, wenn in einer live-Moderation Zeit gerafft oder überbrückt werden muss. Ein ausgeschriebener Text lässt einen da im Stich. Zum anderen kann der Moderator, wenn er frei formuliert, sehr viel persönlicher sprechen und sein.

Ein Dreh- und Angelpunkt unserer Seminare ist das Spielerische – wir arbeiten viel mit Kreativübungen: Es kann frei improvisiert werden über Musik, die dem Moderator eingespielt wird, über Begriffe oder Bilder. Zum Beipiel hatten wir eine Serie Bilder von verschiedenen Fenstern, vom Campingwagenfenster bis zum aufgemalten im Tessin. Jeder bekam ein Fensterbild, hatte 3 Minuten Zeit, sich geistig und seelisch darauf einzustimmen und erzählte anschließend im Studio eine Geschichte. Es ging uns darum, dass die Teilnehmer den sinnlichen Zugang zu einem Thema auszuprobieren und eine eigene, persönliche Ansprechhaltung finden. Der Moderator spielt keine einstudierte Rolle, sondern zeigt Gesicht.

Nun mag der Einwand kommen, dass die Geschmäcker doch verschieden sind und es unterschiedliche Meinungen darüber gibt, was gut klingt. Wir haben es getestet. Wir haben den Moderatorinnen im Seminar Sendungen aus anderen Sendern vorgespielt, und es gab fast immer eine einhellige Meinung darüber, was gelungen und was weniger gelungen sei. Das heißt, dass es offensichtlich doch “allgemeingültige” Geschmackskriterien gibt.

Wie werden nun Trainings von Kulturprogrammen genutzt? Einerseits sind die MitarbeiterInnen schwieriger zu motivieren als Kollegen aus anderen Programmen, an Fortbildungen teilzunehmen – aus Gründen, die wir schon genannt haben: Sie sind Einzelkämpfer. Ihr Teamgeist ist nicht besonders ausgeprägt. Sie sind überzeugt, alles richtig zu machen vor ihrem wissenschaftlichen Hintergrund. Der Konkurrenzdruck untereinander ist stark ausgeprägt. Hinzu kommt, dass in Kultur- und Musikredaktionen die Fortbildung noch nicht als selbstverständlicher Teil des beruflichen Lebens verstanden wird. Fortbildung wird eher als Druckmittel verstanden.

Andererseits haben wir die Erfahrung gemacht, dass überall dort, wo sich Kulturprogramme Fortbildung geleistet haben, ModeratorInnen besonders kreativ waren, besonders viel Spaß hatten, etwas Neues auszuprobieren. Was uns übrigens nicht verwundert hat, findet man doch gerade in Kulturredaktionen überaus kreative Leute! Und oft waren die Teilnehmer froh, ernsthafte Rückmeldungen, sprich: einen Kriterienkatalog zu bekommen.

Voraussetzung für erfolgreiche Trainings ist allerdings, dass die Fortbildung keine Zwangsmaßnahme darstellt nach dem Motto: Die können´s noch nicht, die werden jetzt in die Schule geschickt. Vielmehr muss die Teilnahme an einer Fortbildung von allen geschätzt werden – inklusive der Redaktionsleitung. Schließlich sollten die Teilnehmer eines Trainings im Sendungsalltag das auch umsetzen dürfen, was sie im Training erarbeitet haben. Deshalb ist es wichtig, die Kriterien für alle klar zu definieren und sie in Redaktionssitzungen und bei Sendungskritiken auch einzufordern.

Ein gutes Beispiel für solch eine Fortbildung bietet ein Training, das wir bei Radio DRS in Basel durchgeführt haben. Es ging dabei um das Problem, dass die ModeratorInnen bei der Ansage von Live Konzerten extrem flexibel agieren müssen. Die Nachrichten sind pünktlich fünf nach acht zu Ende. Der Studio-Sprecher übergibt an die Moderatorin, den Moderator im Konzerthaus. Dort harrt das Publikum auf den Beginn des Konzerts. Doch: Sitzt das Orchester schon, oder kommen die Musiker erst herein? Haben sie gestimmt oder läßt sich der Geiger erst das „A“ von der Oboe geben? Wann kommt der Dirigent? Obwohl doch alles klar ist, warum erscheint er immer noch nicht?

Die Moderatorin muss diese Zeit überbrücken. Bleibt ihr viel Zeit, muß sie weit ausholen. Bleibt ihr wenig Zeit, muss sie in Kürze doch alles wichtige in die Anmoderation packen. Neben Übungen zur verständlichen Sprache und zum Freisprechen für die live-Konzertübertragung war die Frage: Wie kann man die Moderationen so gestalten, dass man jederzeit verlängern bzw. zum Schluss kommen kann. Alle Teilnehmer des Trainings waren „alte Hasen“, kannten die Situation aus eigener Erfahrung. Und der Chef der Abteilung machte auch mit.

Als Vorlage dachten wir uns die Übertragung des Konzerts zum 70. Geburtstag von Nikolaus Harnoncourt, das er zwei Wochen später in Wien selbst dirigierte. Für die Vorbereitung der Moderationen stand jedem Teilnehmer ein umfangreiches Dossier zur Verfügung; Zeitungsausschnitte aus der ZEIT, dem SPIEGEL, der FAZ, der NZZ, dem Phono-Forum und selbstverständlich auch aus eigenen Quellen. Die Moderationen sollten im Modul- oder Baukasten-Prinzip angelegt werden, wobei jeder für sich entschied, welche Aspekte der Person Harnoncourts, des Konzertprogramms und des Umfeldes dieser Veranstaltung er herausstreichen wollte.

Bei der folgenden Übung saßen die Teilnehmer des Seminars im Studio und hörten im Kopfhörer die typische Konzertsaal-Atmosphäre bevor der Dirigent das Podium betritt. Niemand wusste, wie lange diese Zeit dauern würde (sie lag jeweils zwischen 11/2 und 2 Minuten). Und so improvisierten die TeilnehmerInnen souverän mit ihren Moderationsbausteinen und Stichwortzetteln bis das Klatschen des Publikums ihnen anzeigte, dass der Dirigent nun auf die Bühne käme und sie zum Schluss kommen müssten.

Es funktionierte fantastisch. Plötzlich war der Druck weg, sich etwas aus den Fingern saugen zu müssen, wenn der Übergang länger dauert als ursprünglich gedacht. Stress kam zwar auf, wurde aber in Energie umgewandelt. Die gewonnene Erfahrung wurde nach dem Seminar direkt bei Live-Übertragungen genutzt.

Fassen wir zusammen: Die Radiolandschaft in Deutschland ist zur Zeit Umbrüchen unterworfen wie noch nie in den fünf Jahrzehnten nach dem Krieg. Auch wenn Kulturprogramme nicht so unter Druck stehen wie die Massenprogramme, sie müssen sich ebenfalls verändern – im eigenen Interesse. Denn was vor 20, 25 Jahren als ein „gut-gemachtes“ Programm galt, wird heute mit anderen Ohren gehört. Weil andere Generationen zuhören. Kultur- und speziell Musikprogramme dürfen sich nicht von der Radio-Entwicklung abkoppeln. Im Gegenteil: Sie müssen zu den anderen Wellen aufschließen, was die Professionalität der Präsentation angeht.

Das heißt: Sich neue Leute zu holen, auf deren Ideen zu hören, ihren – vielleicht ungewohnten – Ton zuzulassen. Es gibt diese Leute. Man findet sie in den Volontärsgruppen der öffentlich-rechtlichen Sender. Man findet sie auch außerhalb der Sender wie etwa an der Staatlichen Musikhochschule Karlsruhe. Dort besteht seit sechs Jahren ein Studiengang speziell für MusikjournalistInnen beim Radio.

Das heißt zweitens: die Professionalität der Radiomacher in den Kultur- und Musikprogrammen zu erhöhen – durch permanente Fortbildung. Wer sich Fortbildung leistet gehört nicht zu den Schlechten sondern zu den Guten.