Leseprobe

Introduction

Die Callas sollte singen. Der Sprecher im Radio hatte sie fast ehrfurchtsvoll angekündigt. Doch nach ein paar Takten ist klar: Hier singt nicht die Callas. Hier singt ein ausgewiesener Bass. Man hört eine Blende. Der Sprecher meldet sich und bittet ob des Fehlers vielmals um Entschuldigung, leider habe man die Bänder vertauscht. Aber jetzt komme wirklich die Callas. Die Musik hebt an, sie ist es mitnichten. Wieder wird ausgeblendet. Der Sprecher äußert sich erneut. Er bitte vielmals um Entschuldigung ob dieser zweiten Panne. Seine Worte sprechen von höchster Betrübnis. Doch man hört, er kann sich das Lachen kaum verkneifen. Dann geht noch der dritte Versuch schief. Das Band mit der Callas steckt wer weiß wo – nur nicht im Bandkarton, auf dem Callas steht. Jetzt gibt der Sprecher glucksend auf.

Es ist eine der komischsten Pannen aus frühen Radio-Tagen. Komisch vor allem wegen der Diskrepanz zwischen dem damals noch üblichen Pathos der Ansage und der Comedy-reifen Szene. Dieses Pathos ist heute verschwunden, dennoch wird Musik in vielen so genannten Kulturwellen nach wie vor zelebriert. Als sei sie der heilige Gral, dem man nur mit äußerster Ehrfurt begegnen dürfe….

Thema 1 – Selbstverständnis und Rolle

Nichts klingt ärgerlicher als ein Interview, in dem der Journalist anstatt zu fragen ständig damit brilliert, was er alles weiß. Ich habe Interviews gehört, da sprach der Interviewer fast ebenso lang wie sein Gast. Und ich fragte mich dabei ständig: Steckt dahinter, Eitelkeit, Unsicherheit oder Strebertum nach dem Motto: “ Herr Lehrer, ich weiß aber auch was!“

An dieser Stelle muss eine Unsitte erwähnt werden, die von den Kollegen der schreibenden Zunft gerne gepflegt und von den Radio-Kollegen aufgegriffen wird: Der Rückbezug auf Konzerte, Opernaufführungen, Inszenierungen, die vor Jahren einmal viel Aufmerksamkeit erregt haben, die heute aber nur noch einem kleinen Kreis von Eingeweihten in Erinnerung sind. Vorsicht vor rückbezüglichen Vergleichen. Sie erklären nichts. Im Gegenteil: sie rufen beim Zuhörer Verdruss und Unwillen  hervor, weiter zuzuhören. Er fühlt sich von den Spezialisten ausgeschlossen…

Durchführung – Die Interview-Situation

Man kann noch so gut vorbereitet, noch so schlagfertig sein. Wenn es einem nicht gelingt, in der Interviewsituation ein tragfähiges Gesprächsklima zu schaffen, verpufft die gute Vorbereitung. Da geht es in Interviews nicht anders zu als in der alltäglichen Kommunikation. Jeder kennt das Phänomen. Man trifft einen fremden Menschen, beginnt sich zu unterhalten und später in der
Rückschau glaubt man, die Person schon ewig zu kennen. Das Gespräch war anregend, interessant, man hatte den Eindruck, sich nahe gekommen zu sein. Schaut man sich die Situation durch die Brille der Kommunikationspsychologie an, bemerkt man, dass hier sehr viel auf der Selbstoffenbarungs- wie der Beziehungsebene passiert ist. Der Gesprächspartner hat viel von sich preisgegeben, sein Bild der Welt, seine Einstellung, die Werte, die ihm wichtig sind, seine Art von Humor und so fort. Je stärker ein Gegenüber Konturen zeigt, desto mehr ist man bereit, es auch selbst zu tun.

Damit die letzten Sätze nicht falsch verstanden werden: Gemeint ist hier nicht, dass einer ständig und penetrant nur von sich erzählt. Gemeint ist, dass sich ein Mensch hinters Visier schauen lässt. Das schafft Sicherheit und Berechenbarkeit, die Beziehung untereinander ist klar. Man kann es auf den Nenner bringen: Je deutlicher ich mich zeige, umso mehr wird auch der andere sich öffnen können…

…aus dem Kapitel Interviews und Gespräche mit Musikern von Reinhard  Krol im Handbuch Musikjournalismus / Hg. Peter Overbeck / UVK / 24,90€